Europäischer Märchenpreis 2017 für Dr.Nicole Belmont und Alice Joisten

Im Jahr 2017 werden zwei Französinnen mit dem Europäischen Märchenpreis der Märchen-Stiftung Walter Kahn geehrt:

Dr. Nicole Belmont (*20.11.1931)

studierte und promovierte bei dem großen Ethnologen Claude Lévi-Strauss und darf heute als führende Vertreterin der französischen Märchenforschung gelten. Sie war Forscherin am Laboratoire d‘ Anthropologie Sociale und lehrte an der Ecole Pratique des Hautes Etudes sowie in leitender Stelle an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales. Jahrzehntelang war sie eine der tragenden Säulen im Redaktionskomitee der Zeitschrift „Cahiers de littérature orale“. Sie gibt ferner die Reihe „Le Langage des contes“ heraus, in der Studien und Erzähltexte aus unterschiedlichen Kulturen veröffentlicht werden. Das wohl bedeutendste Buch aus Nicole Belmonts Feder, „Poétique du conte“ (1999), befasst sich mit der Poetik und Psychologie des Märchens und dem Verhältnis von Mythos und Märchen. Im Mittelpunkt von Belmonts Märcheninterpretationen stehen Kinderfiguren (z. B. der Däumling) und Mädchen (vgl. auch „Filles persécutées, filles mutilées, femmes“, 2001), ganz besonders auch weibliche und männliche Aschenputtelgestalten (vgl. auch „Sous la cendre“, 2007, mit E. Lemirre).
Belmonts Veröffentlichungen zur Wissenschaftsgeschichte (z. B. „Paroles païennes“, 1986; „Aux sources de l’ethnologie française“, 1995) geben Einblick in das Leben des Märchens in der traditionellen ländlichen Gesellschaft, die umfassenden französischen Sammelbewegungen und die Leistungen herausragender Sammler. Ein besonderes Verdienst kommt Nicole Belmont auch als einer Vermittlerin zwischen alter und neuer Erzählkunst zu, die ihr Wissen über traditionelle Erzählgemeinschaften im alten Frankreich und die mündliche und schriftliche Überlieferungsgeschichte des Märchens an die professionellen Erzählerinnen und Erzähler des sogenannten „Renouveau du conte“ und deren Publikum weitergibt.

Alice Joisten (*05.05.1930),

von Haus aus Musiklehrerin, hat das Werk ihres früh verstorbenen Ehemanns, des bedeutenden Sammlers Charles Joisten (1936–1981), in beispielhafter Weise und jahrelanger unermüdlicher Arbeit zugänglich gemacht. Charles Joisten hatte im französischen Alpenraum über drei Jahrzehnte hinweg Märchen und Sagen zusammengetragen. Nach seinem plötzlichen Tod begann Alice Joisten, diese zum größten Teil unveröffentlichten Aufzeichnungen zu digitalisieren und nach dem von Charles Joisten entwickelten geographischen und thematischen System zu ordnen; bis 2005 führte sie außerdem die von ihm gegründete, ethnologisch-linguistisch-historisch orientierte Zeitschrift „Le monde alpin et rhodanien“ weiter. 1996 begann die Publikationsphase der von Alice Joisten für die Nachwelt geretteten Materialien: Sie veröffentlichte den dritten Band der Märchen aus dem Dauphiné („Contes populaires du Dauphiné“, 1996), zwei Bände Märchen aus Savoyen („Contes populaires de Savoie“, 1999/2000) und fünf Bände Sagen („Etres fantastiques du Dauphiné“, 2005/2006/2007; „Etres fantastiques de Savoie“, 2009/2010; alle mit Motivklassifikationen von Nicolas Abry). Sie hat ferner Charles Joistens Studien über Hexen („Cinq figures de magiciens en Dauphiné et Savoie“, 1986) und Werwölfe („Les loups-garous en Savoie et Dauphiné“, 1992; zusammen mit dem Historiker Robert Chanaud) fertiggestellt sowie, z. T. in Zusammenarbeit mit Christian Abry, eine Reihe von Aufsätzen publiziert. Allein schon die Titel beschwören die geheimnisvoll-phantastischen und oft angstbesetzten Erzählwelten der traditionellen mündlichen Überlieferung des Alpenraums herauf. Hier nur eine kleine Auswahl, in Übersetzung zitiert: „Von den Parzen zu den Feen und anderen Wildgeistern“, 1982; „Teufels- und Hexenglauben im Tal von Freissinières“, 1987; „Das Gespräch böser Geister im Gebirge“, 1988; „Die schwarze Sage von der Alpe in Lens“, 1992; „Gargantua im Département Drôme“, 1992; „König Herodes als wilder Jäger in Savoyen und im Dauphiné“, 2001; „Melusines Kusinen in den Alpen“, 2002; „Mündliche Überlieferungen zum wandernden Juden im Dauphiné und Savoyen“, 2004.

Die Preisverleihung findet im Rahmen der Märchentage 2017 am 28. September 2017 um 18:00 Uhr im historischen Schelfenhaus in Volkach statt.

Pressemitteilung, August 2017

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