von Janin Pisarek und Juliane Rehnolt
Die unheile Welt. Zerstörung und Erneuerung im Märchen, 27.9.-29.9.2023
Die Tagung „Die unheile Welt. Zerstörung und Erneuerung im Märchen“ widmete sich der in Märchen und anderen populären Gattungen des Erzählens inszenierten unheilen Welt. Die Vorträge sowie der Workshop befragten die Texte nach der Dialektik von Zerstörung und Erneuerung und ermittelten sowohl deren Strukturen als auch Funktionsmechanismen. Sie setzten sich dabei intensiv mit Deutungsansätzen und Perspektiven der Märchenforschung auseinander. Die Veranstaltung im Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach zeichnete sich wieder durch den herzlichen Umgang der Teilnehmenden miteinander aus. Das wirkte sich wie schon in den vergangenen Jahren ausgesprochen positiv auf das Arbeitsklima aus. Zudem sorgte die gute Atmosphäre für viele anregende Gespräche und Diskussionen nach den einzelnen Vorträgen. Zum Programm der Tagung gehörten ebenso ein lebendiger Erzählabend sowie die Verleihung des diesjährigen Europäischen Märchenpreises an Holger Ehrhardt (Kassel) und des Lutz-Röhrich-Preises an Mara Hoffmann (Mainz) im barocken Schelfenhaus der unterfränkischen Kleinstadt Volkach.
Mittwoch, 27.09.2023
Harm-Peer Zimmermann (Zürich) referierte zum oft enormen Ausmaß der Gewalt in den Märchen der Brüder Grimm, das besonders in der ersten Ausgabe seinerzeit auf teils heftige Ablehnung und Unverständnis stieß. „In keiner anderen Gattung wird so viel geköpft, zerhackt, vergewaltigt, ermordet, ertränkt […] wie im Märchen“, machte er gleich eingangs deutlich. Im Märchen „Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben“ (ATU 1343*, KHM 22a) und bei einigen Bestrafungen von Antagonisten in anderen Märchen zeigt sich eine Dimension an Gewalt, die selbst von Freunden der Grimms wie Achim von Arnim viel Tadel erfuhr. Darauf aufbauend reflektierte der Vortrag in einer Zusammenschau von Äußerungen der Grimms in Briefwechseln und Vorreden mit den zeitgenössischen Denkmustern die Grimm’schen Argumentationslinien. Diese lassen sich in pädagogische und psychologische Rechtfertigungen sowie in poetische, mythologische und historische einteilen. In vier prägnanten Punkten lieferte der Beitrag schließlich die Quintessenz der Grimm’schen Verteidigung. Das Märchen zähle zum Kulturgut und habe sich – so wie von den Grimms wiedergegeben – Jahrhunderte bewährt, als Kunstwerke entziehen sich Märchen moralischer Wertung, es handle sich um Erziehungsgeschichten, die in mythologischer Form aufklären, und letztlich würden die Märchen einen Schutzraum bieten, in dem Menschen das Böse in einer Art „Fantasy-Modus“ kennenlernen können. Letztlich lebe das Märchen von der „Autonomie der Kunst“.
Siegfried Becker (Marburg) sprach über Narrative des Galgens im Märchen. Das mittelalterliche Instrument diente wirkungsvoll zugleich als Zeichen von Herrschaftsinszenierung und Symbol der Unterdrückung wie auch zur Einschüchterung und Abschreckung, bildete es doch eine allgegenwärtige, sichtbare Erfahrung im Alltag des Menschen. Märchen, etwa die Grimm‘schen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ (ATU 326, KHM 4) oder „Die beiden Wanderer“ (ATU 613, KHM 107), nutzen dieses Motiv, indem hier der Schrecken des Ortes die Dynamik von Wandel, Tod und Auferstehung stiftet. Stets zeigte der Vortrag zudem historische Zusammenhänge auf und lieferte Informationen zur Wortverwendung und -verhüllung, die sich etwa in Flurnamen wie „Rosengarten“ für einen ehemaligen Galgenplatz widerspiegeln. Es boten sich zudem Erkenntnisse über gesellschaftliche Hierarchien, so war das Hängen für den niederen Stand vorgesehen, dem höheren Stand hingegen das Köpfen vorbehalten. Auch ging es um das Motiv des Kolkraben, das eng mit dem des Galgens verknüpft ist, und hierbei um die Übertragung mythischer Bedeutungen in die Alltagskultur. Abschließend demonstrierten Beispiele wie „Der Jude im Dorn“ oder „Das Feuerzeug“, dass das Prinzip Hoffnung nur im Märchen Bestand hat und welche Rolle das Motiv Galgen dabei spielt. Vielfältiges Bildmaterial, u. a. Märchenillustrationen von Otto Ubbelohde sowie historische Stadtansichten und Fotografien illustrierten die Ausführungen.
Janin Pisarek (Camburg) analysierte das Motiv des Phönix als Sinnbild wiederkehrender Zerstörung und Erneuerung in verschiedenen historischen Quellen, Erzählgattungen und Medien der europäischen und außereuropäischen Kulturgeschichte. Dabei reicht die Bandbreite von antiken Schriftzeugnissen über mittelalterliche Holzschnitte und Bestiarien bis zu naturkundlichen Werken und zoologischen Taxonomien und natürlich den Märchen, etwa der Brüder Grimm, von Ludwig Tieck, Wilhelm Christoph Günther oder Friedrich Justin Bertuch, sowie zu Fabeln. Dargestellt und gedeutet wurde das Fabelwesen Phönix in diesem langen Zeitraum als natürlich vorkommendes Wesen, im theologischen Diskurs als gottgefälliges Vorbild, ehe er sich schließlich zum erdichteten Vogel entwickelte, dem in der Literatur ganz verschiedene Funktionen und Eigenschaften zukommen. Der Phönix durchlief dabei vielfältige Transformationen, Kontaminationen und Aneignungen. Besonders in Märchen und anderen Gattungen des deutschsprachigen Raumes ist es interessanterweise weniger der Phönix selbst, der sich zerstört und erneuert, sondern er gerät als Objekt zum Bestandteil von Erneuerungs- und Auferstehungsgeschichten. Die Assoziationen und die Bildsprache haben dennoch bis heute überdauert. Das Motiv gehört auch gegenwärtig fest zur Populärkultur – ob in Literatur, Videospielen oder Fantasy-Universen.
Evelin Ruhnow (Essen) stellte entlang von Schlüsselstellen des Märchens „Die Nymphe des Brunnens“ von Johann Karl August Musäus vor, wie Zerstörung und Erneuerung im Wechselspiel hergestellt werden. Vor allem die Schwarz-Weiß-Metaphorik strukturiert den Text und bietet Deutungen, in denen die Protagonistin Mathilde als Muttergottes oder als Hexe festgelegt wird. Für letztere verarbeitet Musäus misogyne Muster aus dem „Malleus maleficarum“ („Hexenhammer“). Indes zeigt die Zauberformel aus dem Märchen „Hinter mir Nacht, vor mir Tag“ mit ihrer Richtung von Dunkel zu Hell einen optimistischen Grundton. Zudem trage das Märchen Spuren vom Widerspruch, den Musäus bereits in seiner „Physiognomischen Reise“ gegen Johann Caspar Lavaters „Physiognomische Fragmente“ einlegte, der sich nun in „Die Nymphe am Brunnen“ in der Figur Mathilde manifestiert, die gleichermaßen ein lichtes und ein dunkles Äußeres haben kann, immer jedoch tugendsam ist.
Am Erzählabend „Nachts. Schlafen und doch wach sein“ führten Maria Carmela Marinelli und Elettra Bargiacchi mit Stimme und musikalischem Klang zu Märchen und Geschichten rund um die Nacht und das nächtliche Geschehen. Die deutsch- und italienischsprachigen Texte mit klanglicher Begleitung zeigten, wie die Nacht in die Welt kam, wie sich der Mensch zwischen goldenen, silbernen und bleiernen Träumen bewegt, wie er nach Schlaf sucht und ihn schließlich mit freundlicher Hilfe wiederfindet.
Donnerstag, 28.09.2023
Dorota Sadowska (Warschau) eröffnete den zweiten Konferenztag mit recht bedrückenden Zeichnungen polnischer Kinder aus dem Jahr 1946, in denen sie die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges, mithin den Schrecken des Krieges explizit darstellten. Die Kinder gaben in den Bildern auf Papier und Verpackungen aller Art deutlich wieder, was sie erlebten. Dabei reicht die Skala vom Verlust der Eltern über Leichenschändung bis hin zu Massenhinrichtungen. Das Konvolut von über 7.000 Zeichnungen aus dem Archiwum Akt Nowych (Archiv für neue Akten) in Warschau lässt sich in verschiedene Themenbereiche gliedern (1939: Deutscher Angriff, 1939-1945: Unter deutscher Besatzung, 1944: Polnischer Widerstand und 1945: Befreiung von der deutschen Besatzung). In diesen vier Kategorien kommen beispielsweise Sujets wie „Mein Vater zieht in den Krieg“ zu Kriegsbeginn vor, ebenso wie der Alltag während der Besatzung mit Hausdurchsuchungen oder Gefangennahmen. Festzuhalten bleibt, dass Kriegsgewalt – anders als die Gewalt im Märchen – nicht nach poetischen Regeln funktioniert. Ein Vergleich des polnischen Bestandes mit einer Sammlung aktueller Kriegszeichnungen von Kindern aus der Ukraine erweist, dass sich die kindlichen Bildnarrative 1946 und 2022 trotz jeweils anderer Bildträger, Techniken, Medien und (pop-)kultureller Einflüsse oft ähneln. Es lässt sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Wahrnehmung von Krieg durch Kinder als Chronisten ihrer Zeit kaum verändert, denn für sie sieht Krieg immer gleich aus.
Kristin Wardetzky (Berlin) führte die Themen Krieg und Zerstörung fort, aber zugleich zurück in die Welt der Literatur. Sie stellte mit der „Ilias“ und Euripides’ „Die Troerinnen“ zwei antike Texte ins Zentrum. Auftakt der „Ilias“ ist der Zorn, der sich durch den gesamten Text zieht und sich als Ursache eines brutalen Kriegsgeschehens erweist. Exemplarisch kulminiert Achills maßloser Zorn gegen Hektor, der seinen Freund getötet hatte. Das Epos zeigt nicht den bewundernswerten Helden und Liebling der Götter Achill, sondern vielmehr seine nicht zu domestizierende Wildheit. Besonders im Zusammentreffen zwischen Achill und Priamos ergibt sich daraus die Frage nach dem Verhältnis von Zorn zu Erbarmen als sittliche Kategorie. Diese Überlegungen führen mitten in das Spannungsfeld, das sich aus den Verflechtungen zwischen Menschen, Göttern und dem Schicksal ergibt. Beide Texte gewichten die Handlungsmacht dieser Akteure verschieden und führen das am Krieg um Troja vor.
Sabine Wienker-Piepho (Freiburg i. Breisgau) ging der Frage nach, ob sich die Gattung Märchen wirklich durch ihr glückliches Ende definiert – so bezeichnete Wilhelm Wundt das Zaubermärchen als Glücksmärchen und Lutz Röhrich sprach von Wunscherfüllungsdichtung – und was dieses Glück eigentlich meint. Zumal das Wünschen auch Unglück bringt, was uns Märchen wie „Von dem Fischer und syner Frau“ (ATU 555, KHM 19) lehren, wo sich Wunscherfüllung als ein echter „Glückskiller“ herausstellen kann. Und währt nicht gar – frei nach Röhrich – wunschlos glücklich am besten? Der Märchenoptimismus manifestiert sich aber nicht nur in Wunscherfüllung (und deren törichten Varianten), sondern ebenso in Formen wie Humor, Realisierbarkeit von Utopien, Ausblendung von sozialem Elend oder Zweckpessimismus. Für diese Muster finden sich im Märchenfundus u. a. der Brüder Grimm zahlreiche Beispiele, in denen die Ambivalenz von Glück und Katastrophe verhandelt wird. „Märchen sind eben keine Ponyhofgeschichten.“ Dabei stellt sich auch die Frage der Definition von ‚Glück‘ und ‚Zauber‘ im Deutschen, denn dessen Wortschatz erweist sich als weniger ausdifferenziert als jener der englischen Sprache. Gerade mit Blick auf das Zaubermärchen lassen sich zudem mit Ernst Bloch oder Max Weber einerseits der Begriff des Zaubers differenzieren und andererseits weitere Ansätze zur Märchenanalyse zwischen Zerstörung und Erneuerung finden.
Lubomír Sůva (Göttingen) widmete sich Božena Němcová, eine der wichtigsten Stimmen der tschechischen Literatur, und ihrem Märchenwerk. Dies ist in der Bedeutung vergleichbar mit dem der Brüder Grimm, fokussiert jedoch deutlich die soziale Situation der Figuren. So beschäftigt den Schulmeister in „Noční stráž“ (Die Totenwache), entspricht in etwa dem Märchen „Der Grabhügel“ (ATU 815, 1130, KHM 195), nicht die Angst vor der Totenwache auf dem Friedhof oder gar dem Teufel, sondern sein ärmlicher und ungeliebter Beruf, dem er entfliehen möchte. In „Čert a Káča“ (Káča und der Teufel) stellt sich die Frage, was sich für einen guten Fürsten im Umgang mit seinen Untertanen geziemt. Es geht um den Alltag der einfachen Menschen, den Němcová kaum idyllisch darstellt, sondern sozialkritisch auflädt und mit ihrer Auffassung einer gerechten Welt verbindet. Dazu wird teils die klassische Figur des Teufels zum Helfer und guten Ratgeber umgekehrt, wie auch in „Čertův švagr“ (Des Teufels Schwager), ähnlich wie „Der Bärenhäuter“ (bis zur 4. Auflage „Der Teufel Grünrock“, ATU 361, KHM 101). Němcovás Märchen legen nahe, dass das menschengemachte Leben doch schlimmer sei als die Hölle.
Helmut Groschwitz (München) sprach über die „Deutsche Mythologie“ (1835) von Jacob Grimm. In dieser Sammlung versucht der Autor, durch „Volksgeist/Volksseele“ sein Programm aus historischer Entwicklungslinie und geschichtsloser Vorzeit der Quellen zugleich zusammenzuhalten. Vornehmlich dank Metaerzählung und kontextualisierender Wortverwendung gelingt es, dass sich jetzt auch die Deutschen um eine Mythologie herum gruppieren können. Grimm bemüht sich zudem, den Bruch mit dem heilen Vorzustand in der Entwicklung der deutschen Kulturnation durch die Christianisierung zumindest zu überbrücken und „Volksgeist/Volksseele“ eignet sich derart als Orientierungsgröße. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Grimms Konzept einerseits zwar integrativ gedacht ist, sich andererseits aber als deutlich eurozentrisch erweist. Diesem Befund kann man sich auf struktureller Ebene mit dem Kolonialismus-Begriff nähern.
Angelika Benedicta Hirsch (Berlin) stellte in ihrem Workshop die beiden Grimm’schen Märchen „Frau Holle“ (ATU 480, KHM 24) und „Die Kristallkugel“ (ATU 552, 518, 302, KHM 197) nebeneinander, die jeweils ganz unterschiedliche Weltanschauungen und Erlösungsvorstellungen bieten. Gemeinsam erörterten die Teilnehmenden anhand dieser Beispiele lineare und zyklische Zeitmodelle und zogen weitere Märchen hinzu, um verschiedene Weltsichten zu untersuchen. Gemeinsam erarbeiteten sie den je spezifischen Umgang der Texte mit Unheil, Lösung und Erlösung.
Der geplante Workshop von Christian Grandl (Würzburg) zum Thema „Sprüche und eigenthümliche Redensarten des Volks, auf die ich immer horche“ musste leider kurzfristig abgesagt werden (Anm. d. Redaktion).
Am Abend wurden im historischen Schelfenhaus in Volkach der Europäische Märchenpreis 2023 an Holger Ehrhardt (Kassel) und der Lutz-Röhrich-Preis an Mara Hoffmann (Mainz) verliehen. Hoffmann erhielt den Preis für ihre Masterarbeit „Das ‚Dornröschen der Pfalz‘ – ein kulturanthropologischer Blick auf das Märchendorf Dörrenbach“, eine Feldforschung zur gegenwärtigen kulturtouristischen Nutzung des Märchens in der Gemeinde. Christina Niem hielt die Laudatio, in der sie das Engagement und die fachliche Expertise der Preisträgerin würdigte. Mit Holger Ehrhardt wurde einer der national und international bedeutendsten Grimm- und Märchenforscher geehrt. In seiner kurzweiligen Laudatio hob Harm-Peer Zimmermann die besondere Relevanz und herausragende Qualität von Ehrhardts Forschungen deutlich hervor. Der Geehrte wiederum gewährte dem Publikum in einer Dankesrede spannende Einblicke in seine aktuelle Arbeit. (nachzulesen in der Rubrik „Preisverleihung“ in diesem Heft, Anm. der Redaktion) Rosemarie Seitz rahmte den Abend mit märchenhaft anmutenden Harfenklängen.
Freitag, 29.09.2023
Gundula Hubrich-Messow (Sterup) machte dem Publikum die bislang nur in dänischer Sprache vorliegenden Märchen „Der Hochzeitsgast“ und „Der Ring des Fischers“ von Frederik Fischer aus Apenrade zugänglich. Zunächst wurden der Autor sowie der Inhalt der Märchen genau vorgestellt. Danach stellte die Referentin die jeweiligen Erzähltypen vor, untersuchte beide Märchen detailliert auf mögliche Quellen und ging auf die Rezeption der Texte ein. Zudem ließen sich in „Der Hochzeitsgast“ und in „Der Ring des Fischers“ sowohl Handlung als auch einzelne Motive auf Zerstörung und Erneuerung hin analysieren.
Kathrin Pöge-Alder (Leipzig) setzte sich mit den „Volkssagen aus dem Orlagau“ auseinander, die Wilhelm Börner 1838 herausgab. Die enthaltenen Märchen und Sagen, darunter mythische Sagen sowie jene aus dem Sagenkreis der Perchta und der Waldweibchen, sind in Gespräche einer Freundesgruppe über die Texte eingebettet, mithin als fingierte Mündlichkeit angelegt. Diese Rahmung wurde von den Grimms als nicht notwendig, aber stellenweise ganz nützlich kommentiert. Börner bringt mit diesem Verfahren die (eigene) Hörsituation der Sagen in die Sammlung ein, kann Funde historisch verorten und dank der heterogenen Zuhörergruppe der Rahmenhandlung zudem die emotionale und rationale Wirkung des Erzählten auf eben diese Zuhörerschaft verteilen. Ein Ausblick auf Märchen heutiger Jugendlicher ermöglichte den Vergleich von historischen und gegenwärtigen Imaginationen über Heil und Unheil.
Susanne Hose (Bautzen) beschäftigte sich im Abschlussvortrag mit der Erzähltradition von připołdnica (Mittagfrau) und Kosmatej (zottelhaariges Wesen, ähnlich einem Waldteufel). Beide Schreckgestalten finden sich im volkstümlichen Erzählen der Lausitz, die sich als slawisch-deutscher Verflechtungsraum kulturell recht vielstimmig zeigte. Allerdings ging der Austausch von Erzählstoffen und ihre Übertragung in jeweilige Sprachen oder Dialekte in den schriftlichen Quellen zumeist verloren, v. a. durch den nationalisierenden Impetus des 19. Jahrhunderts. Daher galt es, den Spuren von Mittagsfrau und Kosmatej in Texten, Bildern, Ritualen und Motiven nachzugehen. Dabei zeigte sich an diesen Figurationen des Grauens zum einen die Faszination am Numinosen, zum anderen eine gegenseitige Durchdringung ost- und westeuropäischer Vorstellungen. Bis heute leben die beiden Figuren als imaginierte Schreckgespenster in der modernen Bildwelt fort und finden ihren Weg in die Populärkultur.
Ein herzlicher Dank für die allseits gelungene Tagung mit spannenden Vorträgen, intensiven Diskussionen und Pausengesprächen sowie für den wunderbaren Aufenthalt und den reibungslosen Ablauf gilt dem Organisationsteam (Susanne Hose, Roland Kahn, Diana Müller und Bastian Zemke) sowie der Abtei Münsterschwarzach.