Europäischer Märchenpreis 2016 für Prof. Dr. Hermann Bausinger

Pressenotiz, April 2016
Prof. Dr. Hermann Bausinger (Tübingen) wird in diesem Jahr mit dem Europäischen Märchenpreis der Märchen-Stiftung Walter Kahn geehrt. Dieser Preis zeichnet eine lebenslange Leistung in Sachen Erzähl-und Märchenforschung aus und ist mit 5.000  € dotiert. Die Preisverleihung wird am 13. Oktober 2016 um 18:00 Uhr im historischen Schelfenhaus in Volkach einen festlichen Rahmen finden.

Der Preisträger ist weit über die Fachgrenzen hinaus bekannt. Als Germanist und Volkskundler waren seine wissenschaftlichen Anfänge auf der Nahtstelle zwischen diesen beiden Disziplinen angesiedelt. Gerade die Erzählforschung verdankt ihm überaus wichtige Bücher und größere Abhandlungen. Den Auftakt machte 1952 „Lebendiges Erzählen“, es folgten Studien wie „Formen der Volkspoesie“ (1968 ff.), „Redeweisen“ (1990), das „Buch der Märchen“ (1995), „Über das Hören“ (2. Aufl . 1998), oder „Märchen – Phantasie und Wirklichkeit“ (zuerst 1987).
Vielleicht noch wichtiger sind seine zahlreichen Aufsätze, etwa der zu „Aschenputtel“
oder unlängst ein weiterer zu „Märchen und Lüge“ (Schriftreihe Ringvorlesungen der Märchen-Stiftung Walter Kahn), sowie seine brillanten Beiträge zu vielen Festschriften. Bausingers Vorträge bei der Europäischen Märchengesellschaft (etwa die aus der Karlshafener Zeit) sind unvergessen. Auch außerhalb der Fachwelt haben seine Bücher große Erfolge und viele Neuaufl agen verzeichnen können, nicht zuletzt seine bahnbrechende Habilschrift „Volkskultur in der technischen Welt“ (1986).
Bausingers literaturwissenschaftliche Annäherungen an J.P. Hebel und F.T. Vischer sind längst Klassiker für die Generation der gegenwärtigen Germanistik-Studierenden (Kunst- versus Volksmärchen). Selbst wenn er alltagskulturanalytische Bestseller schrieb (wie 2011 „Wie ich Günther Jauch schaffte“, oder 2000 „Typisch deutsch“ und unlängst „Ergebnisgesellschaft“) sind das gleichsam Fußnoten zur historisch vergleichenden Erzählforschung. Bausinger hat eben nicht nur die Tübinger Schule der Empirischen Kulturwissenschaft begründet und überhaupt erst konzipiert, sondern immer auch die narrativen Genres und ihre Kontexte im Blick behalten.

Mit seiner Habilschrift Volkskultur in der technischen Welt leitete er einen Paradigmenwechsel zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Faches Volkskunde ein, einen „Abschied vom Volksleben“ und vom „Getümele“ mancher Heimat- und Brauchfanatiker. Er war der Erste, der für eine gegenwartsbezogene Alltagskulturforschung  plädierte, die auch das sog. alltägliche Erzählen einbezieht. Seine Schüler, unter ihnen etliche inzwischen Lehrstuhlinhaber an in- und ausländischen Universitäten, haben seine Anregungen aufgegriffen und weitertradiert. Bausinger gilt als einer der führenden Köpfe der deutschen Nachkriegsvolkskunde und ist als solcher nicht nur europa- sondern weltweit sehr renommiert. Gerade arbeitet der Unentwegte an seinem nächsten Buch…

Bausingers enge Bindung an die Erzählforschung zeigt sich auch in der jahrzehntelangen Mitherausgabe der berühmten Enzyklopädie des Märchens in Göttingen, für die er nicht weniger als 50 Artikel geschrieben hat (grundlegend etwa „Requisitverschiebung“, oder „Alltägliches Erzählen“). Unter seiner Ägide sind in Tübingen hervorragende studentische Abschlussarbeiten zur Märchenforschung geschrieben worden, einige wurden zum Lutz-Röhrich-Preis der Stiftung eingereicht. Er hat viele größere Preise bekommen: etwa den
Brüder-Grimm-Preis der Universität Marburg, den Ludwig-Uhland-Preis, den Justinus-Kerner-Preis und die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg.

PDF-Download: Pressemitteilung: Europäischer Märchenpreis 2016