Europäischer Märchenpreis 2020 für Prof. Dr. Helge Gerndt

Es ist bald wieder soweit: In Volkach wird der große Europäische Märchenpreis der Märchen-Stiftung Walter Kahn verliehen, der jährlich eine Lebensleistung in der Erzählforschung auszeichnet. Am 17. September nimmt den mit 5.000 Euro dotierten Preis, der seit 1986 jedes Jahr verliehen wird, der Münchner Emeritus Prof. Dr. Helge Gerndt für das Jahr 2020 in Empfang. Im Rahmen eines kleinen Festaktes wird ihm der Preis im Volkacher Schelfenhaus überreicht, sowie sein Lebenswerk im Rahmen einer Laudatio vorgestellt.

Helge Gerndt wurde 1939 in Dresden geboren. Er konnte im Jahre 2019 seinen 80. Geburtstag in ersichtlich guter Gesundheit feiern, zurückblickend auf ein Leben als einer der bedeutendsten und wohl auch vielseitigsten Volkskundler Deutschlands. Nach einer nicht immer einfachen Nachkriegs-Kindheit studierte er Volkskunde, sowie  Germanistik und Geografie in Kiel und Wien, wo er das Glück ausgezeichneter Lehrer wie etwa L. Kretzenbacher hatte. Philosophie, Theaterwissenschaft, Vor- und Frühgeschichte gliederten sich an.
1966 wurde er an der Kieler Universität promoviert. Seine Dissertation machte ihn gleich zu einem der führenden Sagenforscher. Das Thema war maritime Folklore: der Fliegende(n) Holländer und Klabautermann. Sagengestalten der See. 1973 habilitierte er sich in München mit einer Studie zur Volksfrömmigkeit und noch lebendigen Brauchtraditionen: Vierbergelauf. Gegenwart und Geschichte eines Kärntner Brauchs.
1979 berief man Gerndt nach Regensburg. Dort wurde er Professor für Volkskunde, blieb aber nicht lange, denn schon ein Jahr später folgte der Ruf auf den Lehrstuhl an die LMU in München. Dieser Stadt blieb er bis heute treu. Seit 2004 ist er dort Emeritus und blieb auch weiter dem Fach mit vielen Ehrenämtern tief verbunden. Zu diesen gehört sein Vorsitz der DGV (Deutsche Gesellschaft für Volkskunde). Das war zwischen 1987 und 1991. Wichtiger noch für die Anbindung an die Erzählforschung ist aber wohl die Mitherausgabe der Enzyklopädie des Märchens seit 1994. Für diese 14bändige „Bibel der Erzählforschung“ hat er seit deren Bestehen auch selbst viele grundlegende Artikel geliefert.
Die Breite seiner Ansätze zeigt sich weiter in Arbeiten zum kommunikativen Erinnern und Vergessen, oder zu „Kultur als Forschungsfeld“ oder zum „industrialisierten Menschen“. In den schwierigen 68ern war er knapp dreißig, was vielleicht auch zu einer der ersten ideologiekritischen Aufarbeitungen der volkskundlichen Forschung in der Zeit des Nationalsozialismus beitrug. Womit die Volkskundler übrigens noch vor den Historikern Zugänge suchten! Aus der legendären Tagung an seinem Münchner Institut ging ein Tagungsband hervor, der noch heute zur fachgeschichtlichen Grundlagen – Pflichtlektüre zählt. Und in der Corona-Krise wird seine Katastrophenforschung wieder hochaktuell: sein Tschernobyl-Aufsatz ist paradigmatisch.
Bemerkenswert auch seine gegenwärtige Hinwendung zu außereuropäischen Erzähltraditionen: an der Universität von Abomey-Calavi (Elfenbeinküste) ist er im vergangenen Jahr als Stifter, Förderer und Ideengeber hervorgetreten: In kurzer Folge sind daraufhin vier Bände einer Text- und Photosammlung erschienen, die den Titel „Sonafa“ trägt. Das ist Fon, die dortige Sprache, und es heißt soviel wie „Morgen wird es besser…“

Für die Märchen-Stiftung Walter Kahn: Prof. Dr. Sabine Wienker-Piepho (Jena/Freiburg),
Erzählforscherin und Volkskundlerin, die auch die Laudatio halten wird.

Hier kann die Pressemitteilung im PDF-Format abgerufen werden.